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Noch auf dem Mount Stupid oder effiziente Lernkurve?

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Doch in der Medizin ist das Lernen eine besonders heikle Angelegenheit, denn es geht um das Wohl und die Unversehrtheit der Menschen, die sich in ärztliche Obhut begeben haben. Jede bestandene Prüfung und jeder erste Schritt in die ärztliche Praxis bringt nicht nur Selbstvertrauen, sondern auch steigende Verantwortung – sowohl gegenüber den Patienten als auch gegenüber der eigenen Weiterentwicklung.

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Was ist der Dunning-Kruger-Effekt?

Heute möchte ich den Dunning-Kruger-Effekt vorstellen und dich dazu ermutigen, regelmäßig zu hinterfragen, wo du dich auf deinem "Mount Stupid" befindest.

Der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt eine kognitive Verzerrung, bei der Menschen mit geringeren Fähigkeiten dazu neigen, ihre Kompetenz zu überschätzen. Dieser Effekt wurde erstmals 1999 von den Psychologen David Dunning und Justin Kruger beschrieben. Sie fanden heraus, dass Personen, die in einem bestimmten Bereich nur oberflächliches Wissen oder geringe Fähigkeiten besitzen, sich oft selbst für kompetenter halten, als sie es tatsächlich sind. Das liegt daran, dass ihnen das nötige Wissen fehlt, um ihre eigenen Lücken zu erkennen.

Auf der anderen Seite neigen erfahrene oder hochqualifizierte Personen dazu, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen. Sie halten ihre Aufgaben für offensichtlich oder glauben, dass andere genauso kompetent sind, weil sie nicht mehr wahrnehmen, wie viel sie eigentlich gelernt haben.

 

Der Weg zum „Mount Stupid“

In der medizinischen Ausbildung, insbesondere in den ersten Jahren als Assistenzarzt, kann dieser Effekt besonders deutlich werden. Nehmen wir zum Beispiel einen Assistenzarzt im ersten Jahr seiner Facharztausbildung. Er wird mit einem komplexen Fall konfrontiert – eine Situation, die theoretisch vertraut erscheint. Er hat Prüfungen bestanden und fühlt sich sicher in seinem theoretischen Wissen. Dieses Selbstvertrauen führt dazu, dass er glaubt, die richtige Diagnose schnell stellen zu können. Doch in der Realität übersieht er entscheidende Symptome oder zieht voreilige Schlüsse. Statt weitere Untersuchungen einzuleiten oder eine zweite Meinung einzuholen, verlässt er sich auf seine eingeschränkte Erfahrung. Diese Überschätzung kann in der Medizin fatale Folgen haben: Fehldiagnosen oder Behandlungsfehler, die das Leben des Patienten gefährden könnten.

 

Theorie trifft Praxis

Theoretisches Wissen bedeutet nicht automatisch praktische Kompetenz. Im medizinischen Alltag ist es entscheidend, das eigene Wissen und die eigenen Fähigkeiten immer wieder kritisch zu hinterfragen. Hier sind einige Strategien, um den Dunning-Kruger-Effekt zu überwinden und eine steilere, effizientere Lernkurve zu erreichen:

  • Feedback einholen: Regelmäßiges Feedback von erfahrenen Mentoren ist unerlässlich. Es hilft dabei, blinde Flecken zu erkennen und realistisch einzuschätzen, was man noch lernen muss.
  • Unsicherheiten eingestehen: Es ist in Ordnung, Unsicherheiten zu haben – das Eingeständnis, dass man nicht alles weiß, ist der erste Schritt zum Lernen und zur Verbesserung.
  • Praktische Erfahrung sammeln: Während theoretisches Wissen ein Fundament bildet, ist es die praktische Erfahrung, die wirklich zählt. Je mehr Fälle man selbst erlebt und mitbetreut, desto besser wird das Urteilsvermögen.

 

Schrittweise Verantwortung übernehmen

Es ist wichtig, dass Assistenzärzte Verantwortung übernehmen, aber dies schrittweise tun. Während sich das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufbaut, sollten sie die Möglichkeit haben, anspruchsvollere Aufgaben unter Supervision zu übernehmen. Dieser schrittweise Prozess verhindert, dass sie in Situationen geraten, in denen sie überfordert sind – ein häufiger Effekt der Selbstüberschätzung, den der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt. Je mehr Erfahrung ein Assistenzarzt sammelt, desto realistischer wird seine Einschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Das regelmäßige Feedback spielt in der Ausbildung eine zentrale Rolle. Obwohl es immer wieder berichtet wird, dass die Art der Kommunikation im hektischen Klinikalltag oft auf der Strecke bleibt, solltest du als Assistenzarzt darauf bestehen, regelmäßig Rückmeldungen zu erhalten. Es ist entscheidend zu verstehen, dass jede Art von Feedback – auch wenn es in ungünstiger Weise vermittelt wird – wertvoll ist. Selbst negative oder ungeschickte Kritik kann dich voranbringen und dir helfen, deine blinden Flecken zu erkennen.

 

Fazit: Balance zwischen Selbstvertrauen und Selbstreflexion

Der Dunning-Kruger-Effekt zeigt, dass sowohl Überschätzung als auch Unsicherheit hinderlich sein können. Assistenzärzte sollten sich darüber im Klaren sein, dass ihre Selbsteinschätzung – insbesondere zu Beginn ihrer Karriere – wahrscheinlich verzerrt ist. Regelmäßiges Feedback, kontinuierliches Lernen und die Bereitschaft, Fehler zuzugeben und daraus zu lernen, sind wesentliche Bausteine, um sich zu verbessern und letztendlich zu einem sichereren und kompetenteren Arzt zu werden. Der Schlüssel liegt darin, eine Balance zwischen Selbstvertrauen und Selbstreflexion zu finden und stetig zu wachsen.

Der Dunning-Kruger-Effekt ist kein Hindernis, sondern eine Phase des Lernens. Als Assistenzarzt kannst du ihn nutzen, um deine Selbsteinschätzung zu verbessern und deine Fähigkeiten zu verfeinern. Werde dir darüber bewusst, dass der Weg vom Anfänger zum Experten durch kontinuierliches Lernen, Selbstreflexion und ständige Verbesserung führt. Je früher du beginnst, deinen eigenen Platz auf dem „Mount Stupid“ zu hinterfragen, desto schneller wirst du dich auf einer stetig aufsteigenden Lernkurve bewegen – hin zu einem echten Meister deines Fachs.

Und glaube mir, gestandene Kliniker, welche alle Voraussetzungen zum Chefarzt haben leiden sehr oft an dem anderen Teil des Dunning-Kruger-Effekt, sie unterschätzen ihre Fähigkeiten gravierend und halten sich für nicht geeignet die Abteilung oder die Klinik zu führen. Genau aus dem selben Effekt….